
Solidarität muss praktisch werden
Ein Bericht und eine Einordnung rund um das erste Urteil im „Budapest-Komplex“
Am Freitag, den 26.09.2025, wurde das erste Urteil im sogenannten „Budapest-Komplex“ vor dem Staatschutzsenat des Oberlandesgerichts München gesprochen. Indizien reichten dem Gericht aus, Hannas Anwesenheit und Beteiligung an militanten Aktionen gegen Faschist:innen in Budapest festgestellt haben zu wollen. Der Senat verurteilte sie für gefährliche Körperverletzung in mehreren Fällen und die Bildung einer kriminellen Vereinigung zu fünf Jahren Haft.
Neben der solidarischen Begleitung und einer Kundgebung vor Gericht, fand einen Tag später, am 27.09.2025, eine überregionale Antifa-Demo in Solidarität mit Hanna und den anderen von Repression betroffenen Antifaschist:innen im „Budapest-Komplex“ in ihrer Heimatstadt Nürnberg statt. Zu beiden riefen wir auf und beteiligten uns.
Neben der Demo für Hanna fand in Nürnberg zudem ein rechter Aufmarsch von „Gemeinsam für Deutschland“ statt. Hier gab es im Anschluss zu der Demonstration starken antifaschistischen Protest.
Der „Budapest-Komplex“
Die Ausgangslage des sogenannten „Budapest-Komplexes“ ist die militante Intervention durch Antifaschist:innen gegen Nazis, rund um den „Tag der Ehre“ 2023 im rechts-autoritären Ungarn.
Der „Tag der Ehre“ ist seit vielen Jahren ein zentrales Vernetzungstreffen verschiedenster europäischer Nazi-Organisationen. Faschist:innen aus ganz Europa kommen zusammen und huldigen – in Wehrmachts- und SS-Uniformen gekleidet – dem deutschen Faschismus.
Die Angegriffenen sind – entgegen der Darstellung in der Presse – keine normalen Bürger:innen in Tarnhosen; sie sind langjährig organisierte Neonazis. Jede:r einzelne von ihnen stellt sich in die Tradition der SS-Mörderbanden. Sie sind eine dauerhafte Bedrohung für alle, die von ihnen als Feinde betrachtet werden.
Die herrschende Politik tut nichts dagegen. Im Gegenteil: Die ungarischen Regierung – unter dem stramm rechten Präsidenten Victor Orbán – duldet es nicht nur. Sie betrachtet es mit einem gewissen Wohlwollen. Es sind allein die antifaschistischen Strukturen, die sich diesem Treiben entgegenstellen, 2023 eben auch militant.
Ausgehend von den paar verletzen Faschist:innen, löste die ungarische Justiz eine europaweite Ermittlung aus, welcher sich der deutsche Staat mit aller Härte anschloss: Internationale Haftbefehle, mediale Hetze, eine illegale Auslieferung und am Ende so viele Antifaschist:innen in deutschen Knästen, wie seit Jahren nicht mehr. Und nun das erste Urteil: 5 Jahre Haft!
Ansteigende Repression gegenüber antifaschistischen Kräften in Zeiten des Rechtsrucks
Juristisch gesehen ist das Urteil – begründet mit der Aneinanderreihung von Indizien – ein Skandal, überraschen tut es uns aber nicht. Es reiht sich ein, in eine Serie von Verfahren gegen Linke, Revolutionär:innen und Antifaschist:innen. Es ist eine weitere Kampfansage an uns alle,
- die sich Faschist:innen in den Weg stellen, wenn es darauf ankommt
- die kein Interesse am Erstarken der faschistischen Gefahr haben
die für eine bessere Gesellschaft frei von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung einstehen und kämpfen - die (damit) das Gewaltmonopol der kapitalistischen Herrschaft infrage stellen.
Es hat zum Ziel militanten Antifaschismus zu delegitimieren, zu diffamieren und mit der Erzählung von „bösem“ Antifaschismus, der faschistischer Gewalt ähnlich sei, zu isolieren und uns als Bewegung zu spalten. So falsch wie dumm: Wer antifaschistische Gegenwehr mit faschistischer Gewalt gleichsetzt, setzt den Widerstand gegen die Unterdrückung mit der Unterdrückung selbst gleich.
Der weltweite Rechtsruck, der sich auch hier in der BRD niederschlägt verstärkt die Repression. Denn er ist kein Phänomen, das sich allein auf das Wiedererstarken rechter und faschistischer Parteien und Organisationen beschränkt, sondern auch auf der Straße, in den Parlamenten und den Gerichten spürbar ist. Er durchdringt als Zeitgeist dieser Dekade jeden Teil der Gesellschaft, der sich nicht aktiv gegen diese Entwicklung stellt.
Unsere Antwort: Solidarität und Widerstand.
Die heutige Zeit, in der die Rechtsentwicklung eine Reaktion auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Krise ist und in der der Staat mitsamt seiner Behörden, Repressionsorganen und Überwachungsmethoden zunehmend autoritärer wird, macht es umso notwendiger aufzustehen, sich zu organisieren und wehren.
Es liegt an uns, die Widerstandsnester, die sich als Gegenpol zur Rechtsentwicklung im Land bilden, zu einer Bewegung zusammenzuführen und zu kämpfen: Für eine Gesellschaft, frei von Unterdrückung und Ausbeutung, frei vom kapitalistischen System.
Die von Repression betroffenen Genoss:innen müssen ein Teil davon sein. Sie müssen mitgedacht und begleitet werden.
Ein langer Prozess geht zu Ende
Der Tag der Urteilsverkündung war neben vielen Emotionen durch viel Solidarität geprägt. Er begann mit einer Kundgebung vor Gericht. Um die 200 Antifaschist:innen kamen vor dem OLG München an der JVA Stadelheim zusammen, um ihre Solidarität mit Hanna zu bekunden und gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus zu protestieren.
Ein Infostand und Reden ordneten den Komplex ein. An Maja, die antifaschistische Person, die rechtswidrig nach Ungarn ausgeliefert wurde und am selben Tag der ungarischen Justiz in ihrem Verfahren entgegentreten musste, wurde ein eine Solidaritätsbotschaft geschickt. Haben linke Aktivist:innen schon vor deutschen Gerichten nichts zu erwarten, übersteigt die ungarische Justiz als auch deren Knastsystem bei weitem die Härte in der BRD.
Während der Urteilsverkündung füllten die solidarischen Begleiter:innen den Prozesssaal und empfingen Hanna mit tosendem Applaus. Die Kundgebung vor den Mauern lief während der Urteilsverkündung weiter; immer wieder konnte man drinnen im Eingangsbereich des Gerichtes die Parolen von draußen hören.
Auch wenn das Urteil nicht überraschend kam, traf es. Das ist nicht zu leugnen.
Mit einer spontanen Demonstration wandelnden wir die Trauer zu Wut. Ergötzt an unserer Reaktion auf das Urteil wollte die Münchner Polizei das verhindern, indem sie die Straße verboten und auf den Gehweg verweisen wollten. Doch die Menge entschlossener Antifaschist:innen setzte den Demonstrationszug letztlich durch. Wir nahmen uns die Straße, um gemeinsam bis zum Linken Zentrum „Barrio Olga Benario“ zu laufen und ernteten Zuspruch von Passant:innen.
Im Linken Zentrum nahmen wir uns den Raum und die Zeit, unsere Emotionen sacken zu lassen, uns auszutauschen und in der Kollektivität Kraft zu tanken. Ein Feuerwerk vor dem Knast noch am selben Abend ließ diese hoffentlich auch Hanna spüren.
Demonstration für Hanna und antifaschistische Proteste gegen „Gemeinsam für Deutschland“ in Nürnberg
Zu der Solidaritätsdemonstration in Nürnberg, die vom Solikreis für Hanna organisiert wurde, kamen 1500 Antifaschist:innen. Untermalt von Musik, Reden und Pyrotechnik zog die Demonstration selbstbestimmt durch die Straßen. Neben Solidaritätsbekundungen für Hanna und die anderen verfolgten Antifaschist:innen, machte die Demonstration klar deutlich, wie notwendig es ist, weiterhin ganz praktisch antifaschistisch zu kämpfen.
Das zeigte sich auch darin, dass sich ein Großteil der Demonstration am Ende der Abschlusskundgebung auf den Weg machte, um sich dem rechten Aufmarsch von „Gemeinsam für Deutschland“ entgegen zu stellen.
Mehrere Blockaden konnten gebildet werden. Die Polizei zeigte auch hier eindrücklich auf welcher Seite sie steht. Mit Schlagstöcken und Einsatz von Pferden schlugen sie den Weg frei für den rechten Aufmarsch aus Querdenkern, Zionist:innen und Faschist:innen von unter anderem „Die Heimat“.
Einen ausführlicheren Bericht und weitere Fotos findet ihr zum Beispiel bei der Antifa-Aktionskneipe Nürnberg (auf Instagram).
Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen
Die beiden Tage haben ein weiteres Mal gezeigt, wie notwendig es ist, antifaschistisch aktiv zu sein. Um der Rechtsentwicklung tatsächlich etwas entgegenzusetzen, braucht es ernsthaftes Dagegenhalten von unten – von uns als Klasse: Mit Blockaden von Naziaufmärschen, indem Faschist:innen die Bühne genommen wird, mit Gewerkschafter:innen die Nazis aus den Betrieben halten, mit breiten Zusammenschlüssen aller, die es im Kampf gegen Rechts ernst meinen und eben auch mit offensiven Formen des Selbstschutzes – so wie in Budapest. Denn egal, wer die Macht im derzeitigen bürgerlichen Staat inne hat, Antifaschismus wird nie konsequent von ihm ausgehen. Es liegt an uns, ihn zu organisieren.
Deshalb: Lassen wir uns von der Repression nicht einschüchtern. Wandeln wir unsere Trauer und Wut zu Widerstand! Halten wir zusammen und packen es an!
Bilder vom Tag: https://antifa-info.net/2025/10/02/solidaritaet-muss-praktisch-werden/